Großes Winter-Interview: FDP Fraktionsvorsitzende Annabell Krämer im Gespräch mit Redakteurin Claudia Ellersiek vom Quickborner Tageblatt

Wie sehen sie Quickborn aufgestellt? Welche Herausforderungen kommen in den nächsten Jahren auf Politik und Verwaltung zu? Und was schätzen sie an Quickborn? Im Gespräch mit Redakteurin Claudia Ellersiek vom Quickborner Tageblatt gibt die Quickborner FDP Fraktionsvorsitzende Annabell Krämer Antworten auf diese und andere Fragen.

 

Diese Frage ist ja fast schon Standard: Wie geht es Ihnen in dieser verrückten Zeit?

Abgesehen davon, dass mir der direkte Kontakt mit Menschen sehr fehlt und das Homeschooling der Kinder mich oft an meine Grenzen führt, geht es mir den Umständen entsprechend sehr gut. In meinem Umfeld sind zum Glück alle gesund. Ich bewundere alle Menschen, die täglich für unser Gemeinwohl da sind – vom Busfahrer über die Verkäuferin, der Polizei und Feuerwehr bis hin zu allen Angestellten im Gesundheitswesen. Ich bin gerade Ihnen Tag für Tag sehr dankbar, dass sie da sind.

 

In Quickborn trifft die Corona-Krise vor allem die Innenstadt-Kaufleute. Haben Sie Sorge, dass Insolvenzen die Folge sein könnten?

Selbstverständlich. Bereits vor der Krise haben viele Einzelhändler aufgrund hohen Leerstands unter zu geringer Frequentierung der Innenstadt ums Überleben gekämpft. Nun wurden staatlich Schließungen angeordnet, die große Koalition in Berlin hat versprochen, Umsatzausfälle zu kompensieren und fahrlässig vernachlässigt zu prüfen, ob dieses mit EU-Recht vereinbar ist. Jetzt greift die Erkenntnis, dass nur ungedeckte Fixkosten erstattet werden dürfen. Das ist für unsere Kaufleute, die Gastronomie und die Dienstleistungsunternehmen eine Tragödie! Unsere Aufgabe als Kommunalpolitiker ist es, Maßnahmen zu ergreifen, damit die Quickborner zurück in die Innenstadt kommen und somit unsere Gewerbetreibenden noch mehr als vor der Pandemie zu unterstützen

 

Wie wirkt sich die Pandemie auf die Kommunalpolitik aus?

Stärker noch als in der Landespolitik. Dort finden meine Finanzausschusssitzungen und das Plenum unter Einhaltung von Testungen und strengem Hygienekonzept weiter statt. Nur meine repräsentativen Termine als Landtagsvizepräsidentin fallen aus. In Quickborn hingegen gab es lange keine Ausschusssitzungen. Wir Freie Demokraten wollten bereits im November über die Hauptsatzung ein Konzept für digitale Sitzungen anschieben. Die gewählten Vertreter können nur handlungsfähig bleiben, wenn die Sicherstellung der Beteiligung der Öffentlichkeit gewährleistet ist. Kommunale Selbstverwaltung funktioniert nur, wenn Politik und Verwaltung gemeinsam handeln. Die politischen Mitbewerber haben uns hier leider nicht unterstützt. Die Politik hat sich selbst unnötig lange aus dem Spiel genommen, das ärgert uns. Immerhin, die Verwaltung ist mittlerweile an einem Konzept dran. Unsere Fraktionssitzungen finden regelmäßig digital statt.

 

Die städtebauliche Studie Kieler Straße, ein Radwegekonzept und ein Konzept zur Attraktivitätssteigerung der Innenstadt: Quickborn hat sich auf den Weg in die Zukunft gemacht. Sind das alles Strohfeuer, oder wurden da Ihrer Ansicht nach tatsächlich die Grundlagen für einen Strukturwandel in der Stadt gelegt?
Mir sind das ehrlich gesagt zu viele Konzepte auf einmal. Konzepte sind kostspielig, Umsetzungen oft langwierig. Mir fehlt die zeitliche Perspektive. Eine Verbesserung der Radwegesituation fordern wir Freie Demokraten seit über 20 Jahren. Hier ist es gut, dass sich etwas bewegt. Das unterstützen wir.

Für eine Innenstadtbelebung haben wir eine Einbahnstraßenregelung, Querparken, um die Anzahl der Parkplätze zu erhöhen, sowie eine Nutzung des Forumsplatzes ausschließlich zum Verweilen und für Veranstaltungen vorgeschlagen.

Der Kardinalfehler bei der Innenstadtplanung war die Kleinteiligkeit der Gewerbeflächen. Manche Gewerbeflächen sind seit Fertigstellung des Forums noch nicht einmal in der Erstvermietung. Quickborn braucht einen Frequenzbringer – und der braucht größere Räumlichkeiten.

Die städtebauliche Studie zur Kieler Straße haben wir von Anfang an kritisch gesehen. Für die grundlegende Umgestaltung einer Bundesstraße, die zudem eine Hauptverkehrsstraße unseres Bundeslandes ist, fehlt mir für die nächsten Jahre die Phantasie. Das Konzept war teuer, und ich prophezeie, dass nur sehr wenig umgesetzt werden wird. Erst schöne bunte Bilder von der Zukunft und dann keine Umsetzung, das erzeugt Unverständnis.

Eine Konzentration auf Quickborns Kernaufgaben ist wichtiger. Darüber hinaus müssen wir messerscharf priorisieren, was für unsere Stadt und unsere Bürger wichtig ist. Hierzu gehört gemäß überparteilichem Beschluss auch der Klima-, Umwelt- und Naturschutz, der erhebliche personelle und finanzielle Ressourcen binden wird. Wir stehen für echte Anpassungen und nicht für Symbolpolitik.

 

Wenn man sich überlegt, dass die Umsetzung der Ergebnisse der Studie Kieler Straße ein Generationenprojekt ist, kann man schon mal den Mut verlieren. Wer in Quickborn lebt, braucht Geduld. Würden Sie sich für die Stadt ein schnelleres Facelifting wünschen?

Im Großen und Ganzen ist Quickborn eine schöne Stadt. Die Bedeutung des Projekts Kieler Straße wird völlig überhöht.
Das entscheidende Generationenprojekt ist die Steuerung unserer Stadtentwicklung mit einer Infrastruktur, die den Bedürfnissen der Menschen in dieser Stadt im bestmöglichen Einklang mit Klima-, Umwelt- und Naturschutz gerecht wird.  Wir brauchen eine Bauentwicklung, die Quickborn konsequent zur „Stadt der kurzen Wege“ weiterentwickelt,  bessere Radwege, einen Schub für die Innenstadt, den Ausbau des Ringverkehrs um Quickborn.

Dazu gehört auch eine Entlastung der L76. Letzteres ist leider sehr teuer. Ich bin schon froh, dass unser Wirtschaftsminister Buchholz die Signalanlage am Bahnhof Tanneneck wie beim Besuch in Quickborn versprochen umsetzt, denn die Querung der Bahnstraße als Zubringer zur L76 ist äußerst gefährlich für unsere Schulkinder.
Im Rahmen des Ausbaus der A7 hatte die Autobahngesellschaft angeboten, bauliche Veränderungen an der Autobahnbrücke Ulzburger Landstraße vorzunehmen. Durch Fördermittel und Gutschrift der nicht benötigten Sanierungskosten hätte Quickborn ein Ersatzbauwerk finanziell stemmen können. Wir bezweifeln, dass der Bürgermeister diese Option – wie von ihm behauptet – in die politische Beratung gegeben hat. Hier hat Quickborn eine historische Chance verpennt! Hier sind wir Freie Demokraten mit dem Ministerium in Kontakt und suchen nach Lösungen. Insgesamt wächst unsere Stadt viel zu rasant – die Infrastruktur muss Schritt halten können!

 

Quickborn ist mit fast 100 Millionen Euro verschuldet. Grund sind nicht zuletzt die enormen Investitionen in die Schulen. Wie bewerten Sie die Verschuldung? Notwendiges Übel oder grob fahrlässig?

Aus unserer Sicht grob fahrlässig! Als Finanzpolitikerin bringt es mich an den Rand der Verzweiflung. Als Gert Willner und danach Günter Thonfeld das Zepter übergeben haben, war Quickborn quasi schuldenfrei. Wir hatten annähernd die niedrigsten Steuersätze im Land und aufgrund der guten finanziellen Situation einen phantastischen Handlungsspielraum. Sofern die Finanzplanung für 2029 mit knapp 130 Millionen Euro Schulden eintrifft, werden wir wahrscheinlich Lübeck als Stadt mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung je Einwohner in Schleswig-Holstein ablösen. Auf diese rote Laterne kann ich gerne verzichten!

 

Auch ich weiß, dass die Zeiten anspruchsvoller geworden sind. Rechtsansprüche auf Kindergartenplätze haben die Kinderbetreuungskosten explodieren lassen. Natürlich wollen auch wir, dass jedes Kind gut betreut wird. Quickborn weist aber auch hier die höchsten Kosten je Einwohner im Kreis Pinneberg auf. Brauchen wir wirklich neue kleinteilige Kitas oder müssen wir nicht eher neue Plätze im Bestand schaffen, damit wir nicht immer neue Verwaltungskosten schaffen?

 

Ja, auch Schulsanierungen wurden damals nicht im erforderlichen Umfang angegangen. Aber abbröckelnde Fassaden am Neubau des Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums und eine mehr als Verdreifachung (!) der ursprünglich geplanten Kosten am Schulzentrum Süd wären durch enges Monitoring zu verhindern gewesen.

 

Wir Freien Demokraten sagen: Der Umzug der Goetheschule zum Schulzentrum Süd ist immer noch ein teurer Irrweg. Eine Sanierung der Grundschule vor Ort wäre günstiger geworden, und es hätte genug Räumlichkeiten für eine offene Ganztagsschule – die übrigens bald verpflichtend angeboten werden muss -  gegeben. Mir graut schon vor den Kosten, die uns präsentiert werden, wenn die Erkenntnis reift, dass der Platz für die Grundschule am Schulzentrum Süd nicht reicht.

Ich könnte die Liste der aus meiner Sicht finanzpolitischen Fehlentscheidungen nahezu unendlich weiterführen. Und was hatten wir für gewerbesteuerstarke Jahre insbesondere durch die Comdirect. Das entfällt nun auch! Leider hat man bei der Vergabe von Gewerbeflächen in den letzten Jahren zu wenig darauf geachtet, dass Zweigstellen von großen Unternehmen relativ lohnintensiv sein müssen, um vor Ort einen großen Anteil ihrer Gewerbesteuer zu lassen. Auslieferungshallen oder Schulungszentren helfen uns finanziell nicht wirklich weiter und versiegeln in der Regel unverhältnismäßig viel Fläche. Die städtische Wirtschaftsförderung muss jetzt dringend anders aufgestellt werden, damit Quickborn für gewerbesteuerstarke Unternehmen interessant wird.

 

Das Verhältnis der FDP insbesondere zu Bürgermeister Thomas Köppl gilt als angespannt. Schießt die Partei in ihrer Kritik nicht manchmal über das Ziel hinaus?

Nein, es geht uns darum, das Beste für unsere Stadt und die bestmöglichen Lebensbedingungen für ihre Bürger zu erreichen. Für dieses Ziel würden wir uns eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Bürgermeister außerordentlich wünschen. Die Realität der letzten Jahre sieht leider anders aus. Konstruktiv kann man mit Bürgermeister Köppl immer dann zusammenarbeiten, solange man seine Haltung unterstützt. Diskutiert man kontrovers, wird es leider oft unsachlich und persönlich. Er polarisiert mit seinem „Ich bin die Stadt“-Anspruch, statt zu vermitteln und die unterschiedlichen guten Ideen und Engagements der Menschen dieser Stadt moderierend zu einem guten Großen und Ganzen zusammenzufügen. Diese Erfahrung machen auch viele Bürger dieser Stadt, die eigene Ideen und Lösungsansätze haben. 
Eine ganz persönliche Anmerkung: Was mich in den letzten Monaten aus demokratischer Sicht zutiefst schockiert hat, ist der Umgang mit der Dokumentation etwa von Ausschusssitzungen. Protokolle der Sitzungen enthalten nur Wortbeiträge, wenn die Verwaltung es befürwortet. Da entscheidungsrelevante Aussagen des Bürgermeisters nicht zwingend zu Protokoll genommen werden, ist es schwierig, diese im Nachhinein zu belegen. Es wird darauf verwiesen, dass ein Ergebnisprotokoll gemäß Gemeindeordnung hinreichend sei.

Sieht man auf das Wirken von Bürgermeister Köppl in den 16 Jahren seiner Amtszeit, was wird aus unserer Sicht sein Vermächtnis sein? Quickborn wird eine immense Schuldenlast zu tragen haben. Wenn die Zinsen wieder steigen, wird das nicht mehr zu bezahlen sein.  Die kommunalen Steuern und Abgaben wurden mit Unterstützung seiner CDU und auch der SPD immer wieder erhöht.  Quickborn gehört inzwischen zu den für die Bürger richtig teuren Gemeinden im Land.  All dies ist ein Erbe für Generationen. Was bleibt noch? Quickborn verwaltet mittlerweile vier weitere Gemeinden – zwei davon außerhalb unseres Kreises. Wir zweifeln weiterhin an, dass sich dieses in der Gesamtbetrachtung für Quickborn rechnet. Die Entwicklung unserer Schulden und die fehlenden personellen Ressourcen für wichtige Projekte unserer Stadt sprechen für sich. Wer profitiert vom Anstieg der Anzahl verwalteter Bürger?  Quickborn unseres Erachtens nicht.
Kritik äußern ist das eine – Alternativen aufzeigen das andere. Ich verspreche Ihnen heute, sollte die CDU zur Bürgermeisterwahl nächstes Jahr erneut Thomas Köppl unterstützen, werden wir den Quickbornern eine gute Alternative bieten. Das sind wir unserer Stadt schuldig!

Nennen Sie mir drei Gründe, Quickborn zu lieben.

Ich bin gebürtige Quickbornerin, mein Großvater war hier engagierter Schulrektor und Stadtvertreter für die CDU. Insbesondere meine Großeltern haben bei mir durch ihr großes Vereinsengagement und ihre Liebe zur Natur frühzeitig eine enge Bindung zur Heimatstadt erzeugt. Deshalb bin ich auch direkt nach meinem Studium zurückgekommen. Ich mag den „Schlag Mensch“ einfach - sowie unsere relativ heile Natur und die kurzen Wege nach Hamburg sowie zur Nord- und Ostsee.

 

Welche Lehren ziehen Sie aus der Corona-Zeit?
Die persönliche gegenseitige Unterstützung und der Umgang miteinander sind ein zentrales Element bei der Bewältigung von Krisensituationen und macht uns als Gesellschaft aus. Darüber hinaus wurde uns deutlich vor Augen geführt, wie wichtig eine gute digitale Infrastruktur ist. Beides müssen wir für die Zukunft stärken.

 

Was wünschen Sie sich für 2021, für die Stadt, für die Menschheit, aber auch für sich ganz persönlich?

Ich wünsche mir, dass wir die Pandemie durch die Impfungen zeitnah in den Griff bekommen, wir unsere Freiheitsrechte bald wieder uneingeschränkt ausleben können und gesund bleiben. Unter dem engagierten Vorsitz von Thomas Beckmann wächst unser Ortsverband stetig. Unser Ziel ist es, Quickborn wirtschaftlich und ökologisch nachhaltig zu entwickeln. Für Quickborn wünsche ich mir, dass sich noch mehr Quickborner dafür entscheiden, sich politisch einzubringen. Für ehrenamtliche Kommunalpolitik ist man nie zu jung und nie zu alt! Sobald es wieder möglich ist, freuen wir uns über jeden, der Lust hat, einmal völlig unverbindlich eine unserer Fraktionssitzungen zu besuchen.

 

Frau Krämer, wir danken Ihnen für das Gespräch.